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Leseprobe
"Extreme"
Lese den Roman Kruso von Lutz Seiler zu Ende. Ein ungewöhnliches Buch. Geschildert wird das Leben von Aussteigern, Gescheiterten und Obdachlosen, die sich auf der Insel Hiddensee zusammen finden, um eine Art Gegengesellschaft zur DDR-Normalität zu bilden. Angeführt von Kruso, einem russischstämmigen, überaus charismatischen jungen Mann, der schon seit Jahren auf der Insel lebt und immer noch darauf hofft, dass seine verschollene Schwester wieder auftaucht. Kruso ist Organisator und führender Kopf der Gruppe. Mit ihm freundet sich der Erzähler Ed an, der sein Studium abgebrochen hat und als Geschirrabwäscher beim Klausner arbeitet, dem Esslokal, in dem die meisten Akteure untergekommen sind. Ed und Kruso verbindet eine innige Freundschaft, u.a. aufgrund ihres Interesses für Gedichte, insbesondere von Trakl.
Der Roman schildert das bunte, chaotische Leben der Protagonisten in teilweise surrealen Formulierungen, insbesondere die unabweisbare Sehnsucht nach Freiheit. Das macht einem die durchaus unterschiedlichen Typen, die der Autor darstellt, von vornherein sympathisch. Hiddensee als Enklave, als letzter Ort des Rückzugs aus dem erstarrten sozialistischen System der DDR; wenn man so will, eine Utopie, deren Verwirklichung mit dem Zusammenbruch des Systems Wirklichkeit zu werden scheint. Genau an dieser Stelle bricht der Roman ab. Kruso stirbt oder auch nicht; er hat sich aufgezehrt für seine Idee von Freiheit. Was daraus wird, bleibt ungewiss. Insofern ist es auch ein Roman über gescheiterte Hoffnungen. Vielleicht liegt darin sein verborgener Sinn.
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