Buch

Leseprobe „Vom Glück zu finden“

Das ganze Werk Kurzecks ist eine komplexe autobiographisch-poetische Chronik, in der sich der Autor seiner Kindheit im hessischen Staufenberg wie auch seines gesamten Lebens über Erinnerungen vergewissert. In zahlreichen Variationen und immer wieder aufs Neue stellt sich dieses große Erinnerungswerk als eine Erzählung dar, deren Quellen nie zu versiegen scheinen. Man fragt sich bei der Lektüre auch nur eines der Romane, wie das Phänomen des Kurzeckschen Erzählens, das praktisch endlos ist, zu erklären sei.
Es hat zum einen damit zu tun, dass der Autor mit einem phänomenalen Gedächtnis ausgestattet ist, das wiederum auf genauester Beobachtung beruht. Sein Lebensprogramm als Schriftsteller bestand wohl darin, sich alles zu merken und alles, was er sich gemerkt hat, aufzuschreiben.
Das, was Kurzeck erinnert und aus dem Gedächtnis hervorholt, sind keine isolierten Ereignisse, Begebenheiten etc., sondern Verkettungen derselben. Es scheint so, dass ein sich selbst generierender Mechanismus greift, indem beim Erzählen oder Schreiben ein Element der Erinnerung schon das nächste und übernächste als Anschluss bereithält und hervorbringt. Der Autor setzt immer wieder von neuem an, und schon ist der Fluss der inneren Bilder in Gang gesetzt.

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Triptychon (2012) von Zwetan Dinekov-Zezo:
Die linke Seite des Triptychons bildet den Kopf einer Figur ab, die einen verzweifelten, von Schmerz und Leid geprägten Schrei ausstößt. Sichtbar am überdimensionierten, aufgerissenen Mund. Die braunfarbige Grundierung des Bildes geht in Höhe des Kopfes in ein Weißgrau über. Die obere Gesichtshälfte um die Augenpartie herum wird mit querschraffierten Streifen überzogen, was die Wirkung erheblich intensiviert. Man ist natürlich an den Schrei von Edvard Munch erinnert; aber das Bild von Zezo gerät dadurch, dass es Teil eines Triptychons ist, gewissermaßen in Bewegung. Unwillkürlich wandert der Blick des Betrachters weiter und gerät dann dadurch ins Stocken, dass der mittlere Teil des Triptychons aus einer in dunkelbraun gehaltenen, leeren Fläche besteht. Das irritiert und soll es wohl auch. Der Betrachter hält für einen Moment inne, kann sich von der intensiven Wirkung des schmerzverzerrten Gesichts ein wenig befreien, um dann umso mehr gebannt zu sein von einem männlichen Rückenakt, der den rechten Teil des Triptychons ausfüllt. …
Mein erster Eindruck vom Bild war, dass es den Schmerz über eine Trennung oder Verletzung ausdrückt; je länger ich das Bild betrachte, glaube ich, dass es einen Riss oder Zwiespalt innerhalb einer Person darstellt, was durch die Form des Triptychons noch unterstrichen wird. Wie dem auch sei – das Bild hat mich von Anfang an fasziniert; vielleicht, weil es diese verschiedenen Deutungsmöglichkeiten offen- oder zulässt. …

Sucht man nach einer Gemeinsamkeit in den Bildern Zezos, so kann man vielleicht sagen, dass sie fast immer mehrere Bedeutungsebenen aufweisen, die sich dem Betrachter nicht unmittelbar erschließen. Oft verbergen sie eine Sphäre der Transzendenz, die es zu dechiffrieren gilt. Nicht die sichtbare Wirklichkeit wird dargestellt, sondern das Resultat einer Kommunikation mit verborgenen Formen von Wirklichkeit. Dieses Überschüssige – die Welt des Transzendenten – ist es, was seine Kunst charakterisiert und was die Phantasie der Betrachter anregt. (JF)



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