Buch

Leseproben:
Momentaufnahmen. Notizen über Literatur, Malerei, Film


aus: Peter Handke: Der Bildverlust

Während der Lektüre des Romans habe ich mich ständig gefragt, was der Autor mit dem „Bildverlust“ ausdrücken will. Erst gegen Ende des Romans lüftet Handke das Geheimnis. In einem Gespräch des Autors mit der Hauptdarstellerin wird der komplexe Sachverhalt, der mit „Bildverlust“ umschrieben wird, sukzessive entfaltet.

In einem Roman, der voller Bilder ist, mutet der Begriff zunächst seltsam deplaziert an. Ständig werden wir mit Bildern konfrontiert – auf der langen Reise der Protagonistin in ihre Vergangenheit oder sollte man doch besser von Zukunft sprechen? Will Handke uns die Welt noch einmal vorführen – die Welt, in der es noch Bilder gab? Hat er sich deshalb auf die lange Reise begeben, in eine noch weithin unerschlossene, fast vergessene Gegend in der Mitte Spaniens, einer Wüsten- und Gebirgsgegend, die noch fast unberührt von den Versuchungen der modernen Zivilisation ist? Mit seltsam anachronistisch anmutenden Bewohnern?

Und: was für eine Zukunft könnte das sein, in der es keine Bilder mehr gibt? Oder präziser: in der es zwar weiterhin Bilder geben wird, die aber keine Aussagekraft mehr besitzen –  keine Wirkung mehr haben. „Oder nein: sie könnten vielleicht weiterwirken. Aber ich bin nicht mehr fähig, sie aufzunehmen und einwirken zu lassen.“ – „Was stattdessen auf mich einwirkt, das sind die gemachten und gelenkten, die von außen gelenkten und nach Belieben lenkbaren Bilder, und deren Wirkung ist eine konträre.“ – „Diese Bilder haben jene Bilder, haben das Bild, haben die Quelle zerstört. Vor allem im noch nicht so lang vergangenen Jahrhundert wurde ein Raubbau an den Bildergründen und –schichten betrieben, welcher zuletzt mörderisch war. Der Naturschatz ist aufgebraucht, und man zappelt als Anhängsel an den gemachten, serienmäßig fabrizierten, künstlichen Bildern, welche die mit dem Bildverlust verlorenen Wirklichkeiten ersetzen, sie vortäuschen und den falschen Eindruck sogar noch steigern wie Drogen...“

Dies ist eine der Schlüsselstellen des Romans. Ich interpretiere sie so, dass Handke den Verlust authentischer Erfahrungen, Wahrnehmungen, Gefühle beklagt. „Bilder“ – wie er sie versteht, kommen von „innen“. Sind Resultat der Verarbeitung von Erlebtem, Gesehenem. Genau dieser Prozess, der aus der naiven Anschauung eine bewusste Wahrnehmung, ja Erfahrung macht, geht in der Moderne mit ihrer extremen Reizüberflutung verloren. Dies meint m.E. Handke, wenn er vom „Bildverlust“ spricht. Einen dramatischen, unwiederbringlichen Verlust an authentischer Welterfahrung. (von Joke Frerichs)



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